"DOT 2022: Teehaus oder Puppenbegräbnis?"
Ein Kommentar zur Sektion JAPANOLOGIE auf dem 34. Orientalistentag (2022) in Berlin
Der 34. Deutsche Orientalistentag (DOT) fand vom 12.-17. September 2022 an der Freien Universität Berlin statt. Es war zugleich das hundertjährige Jubiläum der renommierten Konferenz, die zum ersten Mal 1921 von der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft (DMG) in Leipzig veranstaltet wurde. Die DMG, so die Auskunft (https://dot2022.de/), ist die „älteste wissenschaftliche Vereinigung deutscher Orientalisten“. Ihre Mitglieder befassen sich vorwiegend mit Sprachen und Kulturen des Nahen Ostens und mit Teilen Asiens, Ozeaniens und Afrikas. Der DOT etablierte sich als größte und bedeutendste Veranstaltung der deutschen Kulturwissenschaften zu Afrika und Asien. Die Teilnahme ist weltweit für alle Fachgelehrten, Studierenden und die interessierte Öffentlichkeit möglich und ist nicht an eine Mitgliedschaft in der DMG gebunden. Zum Jubiläum 2022 fanden sich laut der Pressemeldung der Universität Berlin (https://www.fu-berlin.de/presse/informationen/fup/2022/fup_22_141-orientalistentag/index.html) rund 1200 Teilnehmer und Teilnehmerinnen aus 66 Ländern in 23 Fachsektionen ein. Insofern kann dem DOT attestiert werden, ein akademisches Ereignis geboten zu haben, das „Forschung und wissenschaftlichen Austausch gewiss nachhaltig prägen wird“, wie die Veranstalter im per Email versandten Nachtrag zur Konferenz schrieben.
Die SEKTION JAPANOLOGIE, betreut von Cornelia Reiher, erwies sich als sehr heterogene Veranstaltung zu verschiedensten japanbezogenen Themen. Unter den insgesamt 8 Beiträgen waren eine archäologisch-philologische, sich auf einschlägige Schriften beziehende Beobachtung zu „Asuka – Fujiwara – Nara. Zur jüngeren Forschung zu Japans frühen Stadtentwicklung“ von Robert F. Wittkamp, ein aufschlussreicher, politikwissenschaftlich fundierter Kommentar zum aktuellen japanischen Demokratieverständnis von David Adebahr, sowie drei soziologisch-ethnologisch angelegte Beiträge. Diese behandelten zum einen problematische Entwicklungen in Japans peripheren ländlichen Regionen (Thomas Ladurner, Maritchu Durand), zum anderen „Ningyo kuyo: Funeral for dolls in Japan“ (Alisha Saikia). Eine politikwissenschaftlich-soziologische Einlassung zum Feld der Konfliktforschung bot Tareq Sydiqs „Exploring Transterranean activism as a research site beyond local protest sites“. Mit literatur- und zeitgeschichtlichen Perspektiven befassten sich „Glimpses of Siberia in Hayashi Fumiko’s ‚Third Class on the Trans-Siberian Railroad‘ (1932)“ von Marco Taddei und „Eine vergessene Literaturgeschichte? Plädoyer für die Relektüre japanischer Texte der Dekaden nach 1945“ von Lisette Gebhardt.
Die Sektion war leider nur äußerst schwach besucht. Möglicherweise lag dies an der wenig ambitionierten Zusammenstellung der Referate, die keine Klientel auf dem DOT ansprach. Etliche Vortragende waren Japanologen und Japanologinnen wohl zu fern der Disziplin und auch zu unbekannt – Marco Taddei etwa ist Forschenden zu japanischer Literatur kein Begriff, auch mit Namen wie Tareq Sydiq, Maritchu Durand und Alishia Saikia verbindet man kein japanologisches Profil, für das sich offenbar die Teilnahme an der Veranstaltung gelohnt hätte. Dass dem vermutlich so ist, belegt nicht zuletzt der traurig stimmende Umstand, dass sich keine Studierenden der im Hause (Fabeckstraße) beheimateten Berliner Japanologie auf einer Sektion eingefunden hatten, die die „ihre“ hätte sein können. An dieser Stelle wäre die Frage aufzuwerfen, warum die Japanologie vor Ort die Sektion, zumal auf einem 100. Orientalistentag, wenig gefördert hat. Hätte man nicht besser einen Namen mit Klang für die Repräsentation der Sache gewinnen können? Dazu eine Reihe von Vortragenden, die (auch für die Philologie) ein attraktives Themenspektrum vertreten oder zumindest durchgängig relevante Forschungsergebnisse (Ausnahme: der Beitrag von D. Adebahr) für das Fach Japanologie – so die Bezeichnung der Sektion – vorstellen? Die Beliebigkeit der Präsentationen (unter dem Motto „Irgendwas mit Japan“), von denen einige nicht ganz überzeugten (wie z.B. das Referat zum Puppenbegräbnis, das kaum das Niveau einer asienwissenschaftlichen Hauptseminararbeit erreichte), verleitete eher zu der Überlegung, die Japanologie sei heute mehr oder weniger konturlos und besäße keine Agenda bzw. wäre (noch schlimmer) unfähig, eine solche zu formulieren. Fast konnte man in Berlin den Eindruck bekommen, es handele sich um ein Fach ohne große Zukunftserwartungen, dem bestenfalls die gnädige Auflösung in die Sozialwissenschaften bevorstünde.
Diese Befürchtungen konnte die Keynote von Christian Tagsold (Japanologie Düsseldorf) nicht entkräften, im Gegenteil: Der im Tagungsprogramm abgedruckte Entwurf seiner Rede klang wie die Selbstaufgabe einer Wissenschaft, die als geistesgeschichtlich-literaturhistorische Forschung ohne die Idee einer (neuen reflektierten) Identität quasi bedeutungslos vor sich hindümpele. Kein Wunder, denn nach dem Abstract des Referenten bauten Japanologen und Japanologinnen ihre Wissenschaft auf das wohlfeile Moment des Exotismus. Sie arbeiteten also immer noch, so die irritierende Anschuldigung des Abstracts, im „Schatten des Teehauses“, das die Generation der Japanorientalisten nach 1945 errichtet und das man nie so recht verlassen hätte – auch wenn „wir“ in den 1970ern dank der sozialwissenschaftlichen Wende viel alten „Ballast“ (subsummiert im Philologischen) abwerfen konnten. Tatsächlich tun sich in der Argumentation des Abstracts einige Widersprüche auf, wenn einerseits größere Sprachkompetenz eingefordert wird, man andererseits aber das Philologische für obsolet erklärt. Wusste Tagsold auch in seinen Darlegungen einiges zu differenzieren, bleiben die Konzeption des Vortrags oder zumindest die Blickrichtung, die das Exposee vorgab, für diesen akademischen Anlass als nicht gerade glücklich zu bewerten. Vorwürfe an das Fach beinhalten nämlich weiter einen notorischen Eurozentrismus und eine Weigerung, sich stärker auf postkoloniale Debatten einzulassen. Den grundsätzlichen Bedenken gegen ein naives Fach und seine scheinbar inkompetenten Vertreter wäre zunächst mit dem Hinweis auf die von Herbert Worm seit Mitte der 1980er Jahre publizierten ausgezeichneten Kommentaren zur Fachgeschichte – auf die sich der Vortrag stützen konnte – zu widersprechen. Auch andere Japanologinnen und Japanologen bezogen z.B. in der Mitgliederzeitschrift Japanforschung. Mitteilungen der Gesellschaft für Japanforschung e.V., die die GJF von 1993–2004 herausgab, in kürzeren Artikeln oder sogar in Monographien häufig zu den Herausforderungen des Fachs Stellung (u.a. Sepp Linhart, Klaus Antoni, Reinhart Zöllner). Überzeugender wäre es sicher gewesen, wenn sich die Einlassungen mit dem Weg der Japanologie in den letzten 15 Jahren, für die kaum Kommentierungen vorliegen und die in der Tat diskussionswürdig sind, beschäftigt hätten; vor allem das japanologische „wir“, welches der Referent ausmacht, zeichnet sich m.E. nirgendwo ab. Ob dann noch die philologische Basis des Fachs zu verleugnen opportun sein mag oder eine aktuelle postkoloniale Wende (wie sie auch die Sektionsleiterin forderte) das Heilmittel für die hier evozierte Disziplin ohne Ziel und Zukunft böte, ist zweifelhaft.
Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Sektion Japanologie auf dem 34. Orientalistentag im Sinne einer – auf fortgeschrittenem professionellen Niveau – dargebotenen fachpolitischen Außendarstellung in Zeiten von ubiquitären universitären Einsparmaßnahmen, von Kürzungen und Stellenstreichungen „verschenkt“ worden ist. Von philologischer Warte aus wundert man sich, warum ein zu Gärten (und Teehäusern) forschender Kollege plötzlich an prominentem Platz in der Hauptstadt sein eigenes Habitat angeht. Als Philologe kann man jedoch auch bei entsprechender Phantasiebegabung – neben etlichen (zum Teil verständlichen) Frustrationen und Ressentiments innerhalb des Fachs – eine eigentümliche Logik der aufgelisteten Forschungsmotive erkennen: Peripherie, Protest, Puppenbegräbnisse.
Nachtrag: Die Verfasserin des Berichts nahm (ebenfalls sozusagen erfolglos) mit dem Beitrag „Eine vergessene Literaturgeschichte? Plädoyer für die Relektüre japanischer Texte der Dekaden nach 1945“ am DOT 2022 teil und war bei der Hälfte der Vorträge anwesend. Die Kritik an Konzept und Keynote hatte ich den Kolleginnen und Kollegen vor Ort in Berlin bereits persönlich mitgeteilt. Eine Kritik am Fach, seinen historischen Grundlagen, zeitgeschichtlichen und gegenwärtigen Entwicklungen halte ich selbstverständlich auf konstruktiver Basis für legitim und sinnvoll, jedoch sollte diese dann auch fundierter und ihre Zielrichtung klarer geäußert werden.
Anmerkung I: Eine Verständigung über ein japanologisches „wir“ würde ich begrüßen und spreche an dieser Stelle eine Einladung an interessierte Kolleginnen und Kollegen aus, ein Organ wie die Mitgliederzeitschrift Japanforschung wiederzubeleben oder ein Gesprächsforum zu eröffnen – gerne mit einem ersten Treffen im neuen Institut für Japanologie an der Goethe-Universität.
II: Der japanologische Anteil am Orientalistentag war sicher seit jeher im Vergleich zum Japanologentag eher gering; er stand nie allzu stark im Mittelpunkt fachlicher Verständigung. Ein Blick auf die Sektionen und Panels des dem DOT vorangegangenen 18. Deutschsprachigen Japanologentags (24.–26. August 2022) ergibt denn auch ein anderes, deutlich positiveres Bild vom Fach (siehe dazu die Kommentare zum Japanologentag 2022 im kommenden Jahresbericht der Japanologie Frankfurt 2022/2023).
III: Zum Thema asienwissenschaftlicher Exotismus, Fach und Fachgeschichte hatte ich selbst Versuche unternommen, aktuelle Perspektiven zu entwickeln.
Links:
(2022)=https://www.academia.edu/86526694/_Eine_vergessene_Literaturgeschichte_Plädoyer_für_die_Relektüre_japanischer_Texte_der_Dekaden_nach_1945_34_Deutscher_Orientalistentag_DOT_34rd_German_Conference_of_Oriental_Studies_Freie_Universität_Berlin_12_17_September_2022
(2018)=https://www.academia.edu/36799458/_Überlegungen_zur_aktuellen_Lage_von_Literaturstudien_Länderspezifische_Ansätze_Kondensat_kommunikativer_Praktiken_und_die_Frage_nach_einer_kritischen_Japanforschung_Forum_literaturwissenschaftliche_Japanforschung_2018_Japanologie_Wien_8_June_2018
(2017)=https://www.academia.edu/86568717/_Japanologische_Fachgeschichte_im_Bereich_der_Literaturforschung_Inhalte_Haltungen_Ergebnisse_33_Deutscher_Orientalistentag_DOT_Asien_Afrika_und_Europa_33rd_German_Conference_of_Oriental_Studies_Asia_Africa_and_Europe_Friedrich_Schiller_Universität_Jena_18_22_September_2017
(2017)=https://www.academia.edu/35708921/_2017_Tenman_Tenjin_und_die_Module_Hochschulreform_Forschungsfreiheit_und_Mindframing_aus_der_Perspektive_einer_kritischen_Japanologie_
(2014)=https://www.academia.edu/22175080/_2014_Japanische_Literatur_in_der_japanologischen_Forschung_und_Lehre_Sichtungen_Bilanzierungen_Perspektiven_In_Lisette_Gebhardt_und_Evelyn_Schulz_Eds_Neue_Konzepte_japanischer_Literatur_Referate_des_15_Deutschsprachigen_Japanologentags_Literatur_II_Berlin_EB_Verlag_pp_273_318
(2007)=https://www.academia.edu/22173806/_2007_Akademische_Arbeit_und_Asienkult_Wilhelm_und_Rousselle_als_Vermittler_asiatischer_Religion_In_Wippermann_Dorothea_und_Georg_Ebertshäuser_Eds_Wege_und_Kreuzungen_der_China_Kunde_an_der_J_W_Goethe_Universität_Frankfurt_am_Main_IKO_Verlag_pp_159_183
(2007)=https://www.academia.edu/en/40231696/_2007_Gerta_ltals_mystischer_Zen_Sinnkonstruktionen_deutscher_Buddhisten_und_die_interkulturelle_Erkenntnisgemeinde_der_1950er_1960er_Jahre_In_Gebhard_Walter_Hg_Ostasienrezeption_in_der_Nachkriegszeit_Kultur_Revolution_Vergangenheitsbewältigung_Neuer_Aufbruch_pp_191_207
Lisette Gebhardt
September 2022
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