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Rezension zu Sôkyû Gen‘yûs „Geschichten aus Fukushima“

"Sôkyû Gen‘yû (*1956), der seit geraumer Zeit in der Nachfolge seines Vaters einen Tempel in der Stadt Kôriyama leitet, zählt zu den repräsentativen Schriftstellern der sogenannten shinsaigo bungaku (Post-Erdbebendesaster-Literatur). Der japanische Kulturjournalismus hatte diese Sondersparte nach den Ereignissen von Fukushima ausgerufen. Neben dem Twitter-Dichter Wagô Ryôichi (*1968) und dem Romancier Furukawa Hideo (*1966) ist Gen‘yû einer der Vertreter der unmittelbar betroffenen Region in Nordostjapan; als Literat debütierte er schon in den 2000er Jahren. Anders als Kenzaburô Ôe, der „Fukushima“ aus der Perspektive einer Nation mit atomarer Erfahrung sowie im internationalen Rahmen einordnete, schildert der Autor und Priester „3/11“ aus regionaler Sicht. Sein Thema ist also „Fukushima von innen“. Während er im dokumentarischen Essayband Fukushima ni ikiru (2011; „In Fukushima leben“) soziale, politische und ethische Problemlagen anspricht, schreibt Gen‘yû in den fiktionalen Texten der Anthologie Der strahlende Berg. Geschichten aus Fukushima darüber, wie sich die Dreifachkatastrophe als Faktor familiärer Spaltung, gesellschaftlicher Erosion und individueller Identitätskrisen bemerkbar macht [...]


Vom Standpunkt des Autors aus, lässt sich der in den Texten aufscheinende dringende Wunsch nach einem fortdauernden Kontinuum des Lebens in Fukushima gut nachvollziehen. Dass sich Post-Erdbebendesaster-Literatur zuweilen didaktisch gibt, schmälert häufig ihren literarischen Wert und dies trifft auch bei Gen‘yû zu. Was die Freude an den Geschichten zusätzlich trübt, ist die Übersetzung ins Deutsche. Sie repräsentiert den Wert der Erzählungen als Sprachkunstwerk nur wenig. Generell sind die Formulierungen zu eng an das Original angelehnt. Umständliche Satzkonstruktionen, schwerfällige Dialoge, unstimmige Bilder, manch unschöne Trennung sowie die selten gelösten Schwierigkeiten, die sich gern bei der Übertragung landesspezifischen Vokabulars (z.B. Namen japanischer Gerichte) ergeben, behindern den Lesefluss. Die defizitäre Sprachlichkeit verleitet nicht zuletzt zu einer exotistischen Verfremdung des Erzählten."






















Lisette Gebhardt für literaturkritik.de, 11. März 2024


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