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Die japanische Literaturszene twittert zum Thema Covid-19

Updated: Mar 24, 2020

SHIMADA Masahiko 島田雅彦

Shimada Masahiko (*1961) spricht von einem „Corona Schock“ (コロナ・ショック; 26. Februar), der Japan ereilt habe. Er nutzt Twitter in diesen Wochen zum einen, um die Maßnahmen der japanischen Regierung und des Ministerpräsidenten Abe Shinzô zur Eindämmung des Covid-19 Virus (jap. 新型コロナウイルス shingata korona uirusu) zu kritisieren, zum anderen klagte der seit Langem für seine regierungskritische Position bekannte Schriftsteller Anfang März darüber, dass er nirgendwo mehr Toilettenpapier bekommen könne und es zudem kaum Bestellungen für sein neues Buch geben würde.


Bei dem angeblich wenig nachgefragten, aber doch mit dem Yomiuri-Preis für Literatur ausgezeichneten Werk, handelt es sich um den „Ich“-Roman Kimi ga itan datta koro 『 君が異端だった頃』, in dem er – zumindest dem Titel „Als du Nonkonformist warst“ nach – auf den Widerstandsgeist der Dekaden seiner Jugend rekurriert. Das Buch wurde Mitte März im Literatur- und Kulturmagazin Da Vinci sehr gut besprochen: Shimada berichte Persönliches aus seiner Schüler- und Studentenzeit. Eine ironisierende erzählerische Distanz und ein angenehm leichter Duktus entstehe dadurch, dass die Dinge von der Persona des Kimi vorgetragen werden. Die wissbegierige Persona kultiviere im Geist des radikal aufbegehrenden Alex aus Anthony Burgessʼ A Clockwork Orange (1962) unabhängig vom Mainstream ein widerständiges Selbst, welches aneckt. Bei den Mädchen sei er durchaus beliebt gewesen. Während des Studiums der Slawistik (russische Sprache und Literatur) an der Tôkyô Gaikokugo Daigaku Universität fasst der junge Mann den Entschluss Schriftsteller zu werden und reüssiert bald mit seinem Debutroman Yasashii sayoku no tame no kiyûkyoku 『優しいサヨクのための嬉遊曲』 (1983). In Kimi ga itan datta koro schildert Shimada zudem die Gegebenheiten in der blühenden literarischen Gemeinde (文壇 bundan) der 1980er Jahre, in denen er mit Größen wie Ôe Kenzaburô 大江健三郎, Abe Kôbô 安部公房, Furui Yoshikichi 古井由吉, Haniya Yutaka 埴谷雄高 und Gotô Meisei 後藤明生 verkehrte. Auch mit der „brachial-monsterhaften“ Lebenseinstellung eines Nakagami Kenji 中上健次 habe er einschlägige Erfahrungen machen dürfen.

Wenn der Autor in einem Tweet das Schwinden seiner Klopapiervorräte bis auf zwei letzte Rollen kundtut, entspricht dies mehr einem Galgenhumor der alten Schule im Hinblick auf die gegenwärtige Situation, als dass er einer realen Besorgnis Ausdruck verleiht; die Aussage über die Unverkäuflichkeit seines aktuellen Buchs tätigt er wahrscheinlich deshalb, weil er weiß, dass die Leser seines Twitter-Kanals den schnellen Vergleich ziehen werden und er ihnen die für sein Buch nicht schmeichelhafte Pointe gönnt. Der bekannte Manga-Künstler Shiriagari Kotobuki しりあがり寿 (*1958) meldet sich denn auch umgehend zu Wort und meint, es wäre doch schön, wenn die Leute, die sich genug Toilettenpapier zusammengekauft haben, nun ebenso darum reißen würden, ihm damit den Hintern abzuwischen:

Shimadas Bemerkung, aus der offensichtlich eine gewisse Resignation und Ressentiment gegen das große Ganze sprechen, zielt nebenbei auf die Tatsache ab, dass seinen Büchern wohl keine bemerkenswerten kommerziellen Erfolge zuteil wurden, weil sie unbequem seien, obwohl er nur „Richtiges“ schreiben würde. Hier hebt er wieder auf eine regierungskritische Einstellung ab, die die Tweets überdeutlich artikulieren. Der Autor gibt sich bereits in der frühen Phase der Krise äußert argwöhnisch, vor allem hinsichtlich der Verlautbarung des Ausnahmezustands (非常事態宣言). Die wenig effiziente Handhabung der Krisensituation im Gefolge des neuen Corona-Virus offenbare das Debakel dieser japanischen Regierung, zeige mehr als jede Mediennachricht das Versagen und die Lügen des Premiers und seines Kabinetts auf.

 

Kommentar zu Shimadas Roman vom Schriftstellerkollegen Hada Keisuke: https://www.youtube.com/watch?v=d9llGENe06g

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