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FUNDSTÜCK: DADAISMUS IN JAPAN von Fumio Oki

Zitate: "Erst im Jahre 1920 ist der europäische Dadaismus in Japan bekannt geworden. Der Literaturkritiker und Redakteuer Wakagetsu Yoshiharu hatte damals, unter der Überschrift Moderne Kunst eines Epikureismus, einen Bericht über den Dadaismus ins Feuilleton seiner Zeitschrift eingerückt und u.a. geschrieben:

Der Dadaismus ist eine Art künstlerischer Bolschewismus und Nihilismus. Ein Führer der Schule, Tristan Tzara, sagzte z.B.: Der Dadaismus schaffe die Familie, den Verstand, das Gedächtnis, die Archäologie, Propheten und Künftiges ab.

Die Dadaisten sind demnach ganz anders als die Futuristen. Sie sind extreme Epikureer, ganz Individualisten, Nihilisten und Realisten.

Der junge Japaner Takahashi Shinkichi wurde durch die Lektüre dieses Berichtes so traumatisiert, als habe er sich eine Gehirnerschütterung zugezogen. Er war damals 19 Jahre alt. Am Leben verzweifelt, trat er in ein buddhistisches Kloster ein, aus dem er 8 Monate später wieder hinausgeworfen wurde. Da ging er nach Tokyo. Eines Tages, im Jahre 1921, besuchte er den Schriftsteller Tsuji Jun. Dessen Übersetzungen waren damals sehr populär. Auch Takahashi Shinkichi hatte sie gelesen und wollte jetzt den Übersetzer kennenlernen. Es war ein trüber Nachmittag gegen Jahresende. Takahashi Shinkichi trug einen grauen Mantel, ein um den Hals gewickeltes, verblaßtes Tuch. Seine schmutzigen Füße steckten in japanischen Reisstrohsandalen. Seine Haare waren zerzaust und hinter den Brillengeläsern verbarg sich ein glänzender, scharfer und schwarzer Blick.

Trotzdem wurde er von Tsuji Jun empfangen. Takahashi Shinkichi sagte: Ich möchte das von Ihnen übersetzte "Sutra des Ichs" lesen, aber ich habe kein Geld, es zu kaufen. Ich möchte Sie bitten, es mir auszuleihen. Zugleich stellte er sich als dadaistischer Dichter vor und erklärte, was seiner Meinung nach Dadaismus sei. Als Zeichen der Dankbarkeit für das geliehene "Sutra des Ichs" schenkte Takahashi Shinkichi Tsuji Jun ein Manuskript eigener Gedichte." (...)

"Der Leser wird demnach anschaulich zur Einsicht geführt, daß der Frust, den die normale Gesellschaft erzeugt, Hauptthema des Gedichts ist.

Die Arbeit des Tellerstapelns verlangt keinerlei geistige Anstrengung, sondern erzeugt allenfalls Ekel und Müdigkeit: Eine Leidenschaft, als kröche ein Regenwurm über die Stirn. Die vierte bis sechste Zeile lauten: Wische die Teller nicht ab Mit der weißen Schürze Frau mit den schwarzen Nasenlöchern. Die Schürze ist kein Geschirrtuch, die Teller damit abzutrocknen. Dennoch ist die Schürze, deren Farbe weiß sein sollte, schmutzig, wie die Nasenlöcher der Frau von Rauch und Küchendunst geschwärzt sind. Der Kontrast von schwarzen Nasenlöchern und weißer Schürze ist bewußt gewählt: Hierin steckt auch ein Witz. Die Köchin, von der Arbeit erschöpft und vom Küchendunst eingeräuchert, möchte Körper und Seele in warmem Wasser entspannen.

Das Gedicht entstand, als Takahashi Shinkichi in einem Restaurant in Tokyo arbeitete, wo es zu seinen Aufgaben gehörte, das Geschirr abzuräumen und in die Küche zu bringen. Das Gedicht spiegelt derart also auch die bedrückte und zugleich anarchische Stimmung der unteren Arbeiterklasse. Was sich gleichzeitig dahin verallgemeinern läßt, daß der japanische Dadaismus von Anfang an anarchistisch geprägt war. Nicht nur die Aufforderung, die Teller zu zerschlagen, der Wunsch, sich in warmem Wasser zu entspannen, auch der anschauliche Wortstapel wollen inhaltlich und mit typographischen Mitteln besagen, daß herrschende Moral, postulierter Sinn und traditionelles Gedicht abgelehnt werden."


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