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Japanische Zeitgeschichte in westlicher literarischer Repräsentation. Werner Herzogs aktueller Text

Werner Herzogs aktueller Text über den japanischen Offizier Onoda - eine Rezension von Wolfram Schütte auf Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik September 2021


"Eine Erzählung vom Stoizismus militärischer Loyalität ist »Das Dämmern der Welt« gewiss auch - über die Tragödie Onodas hinaus, dreißig Jahre seines Lebens in Schmutz, Regen & Lebensgefahr verbracht, mehrere Menschen in dieser Zeit getötet zu haben, ohne zu erkennen, dass der militärische Auftrag zu diesem Robinson-Crusoe-Vegetieren längst, will sagen: zuletzt seit 29 Jahren hinfällig geworden war.

Werner Herzog interessiert sich als Erzähler nur für Onodas kleine Ewigkeit als Guerillero im feuchten Dschungel der philippinischen Kleininsel Lubang, auf der ein paar Reisbauern mit ihren Wasserbüffeln leben. Die Insel wurde von den US-Truppen kurzzeitig besetzt & wieder verlassen. Weder ihnen, noch den späteren einheimischen Soldaten & Polizisten wird es gelingen, den letzten versprengten Japaner, der im Lauf der Jahrzehnte zum Mythos eines Waldgeistes avanciert, der im unzugänglichen Dschungels haust, zu fangen oder gar zu töten.

Es bedurfte eines ebenso eigensinnigen japanischen »Verrückten«, um Onoda aus seiner Selbstverpflichtung zu erlösen, die längst zu einem Fluch ausgewachsen war. Es war der zweiundzwanzigjährige Suzuki, der sein Universitätsstudium abgebrochen hat, um drei Lebens-Ziele zu erreichen: den auch in seiner Heimat zum Mythos gewordenen versprengten letzten aktiven Soldaten der Kaiserlichen Armee auf den Philippinen, dann den »fellbedeckten Jeti« im Himalaya zu entdecken & schließlich einen chinesischen Pandabären in seinem Habitat zu finden. Bei seiner Jeti-Suche ist der junge Exzentriker tödlich verunglückt.

Onoda hat den tollkühnen Abenteurer gefangen genommen. Statt ihn zu erschießen lässt er sich auf die für den Soldaten unvorstellbare Wahrheit des verlorenen Kriegs ein, weil Suzuki verspricht, in Japan den Major ausfindig zu machen & ihn Onoda zuzuführen, um den Bann zu lösen, den dieser Vorgesetzte mit seinem Befehl 1944 über den jungen Soldaten in Lubang verhängt hatte. Erst als es Suzuki gelingt, sein Versprechen wortwörtlich einzulösen, fühlt sich der japanische Rip van Winkle im philippinischen Dschungel von seiner Kriegspflicht entbunden & bereit, an die vielfältigen Veränderungen in der Welt zu glauben & den Dschungel endgültig zu verlassen.(...) Wolfram Schütte




















Anmerkung: Werner Herzog hat sich öfters mit japanischen Themen befasst; die sogenannten Mietmenschen, d.h. die Geschäftsidee, mietbare Personen zur Verfügung zu stellen, die man in bestimmten sozialen Situationen der Umgebung als Ehemann, Freund, Freundin, Arbeitgeber oder Kind präsentieren kann, wird im Drama-Film Family Romance, LLC (2019) über den Unternehmer Ishii Yûichi in Szene gesetzt.


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