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Nachruf auf Furui Yoshikichi

von Lisette Gebhardt (Februar 2020)


Am 18. Februar 2020 ist der bekannte Schriftsteller und Germanist Furui Yoshikichi 古井由吉 gestorben. Er erlag im Alter von 82 Jahren einem Leberzellkrebs. Der 1937 in der japanischen Hauptstadt geborene Furui war Absolvent der Germanistik an der Universität Tôkyô (BA-Abschlussarbeit zu Franz Kafka, MA zu Broch); im Jahr 1965 wurde dem damals 28-Jährigen für die Abhandlung „Über Musils ˈTonkaʼ – Das Geschehen und die Entwirklichung“ der Preis für die Förderung der Germanistik in Japan zugesprochen. Als Germanist publizierte er 1988 den Band „Musil – Kannen no Eros“ (Musil – der Eros der Ideen) und betätigte sich zudem als Übersetzer. Furui übertrug u.a. Hermann Broch sowie Robert Musil ins Japanische und war Hochschuldozent für deutsche Sprache an der Kanazawa Universität und der Rikkyô Universität/Tôkyô, bevor er mit Anfang dreißig die schriftstellerische Laufbahn einschlug. Für den Text „Yôko“「杳子」wurde ihm 1971 der Akutagawa-Preis verliehen. 1983 erhielt er den Tanizaki-Preis, sukzessive 1987 den Kawabata-Preis, 1990 den Yomiuri-Preis und 1997 den Mainichi-Kunstpreis.


Zusammen mit den Autoren Kuroi Senji 黒井千次 (*1932) und Ogawa Kunio 小川国夫 (1927-2008) zählte er zur sogenannten Generation der Innerlichkeit (naikô no sedai)「内向の世代」. Die Gruppe wandte sich damals von einem sozial und gesellschaftspolitisch ausgerichteten Denken den seelischen Welten des Individuums zu. Furui interessierte sich für die Tiefenschichten des modernen Ich und die Spuren einer der Vergangenheit zugehörigen Identität, an der seine Protagonisten weit ab von der Großstadt in der Region teilhatten. Oft vermischen sich in ihren Wahrnehmungen Realität und Traum, Jetztzeit und frühere Jahrhunderte, während sie Gefühlen von Einsamkeit, Angst und Verwirrung ausgesetzt sind. Eine erste Erzählung trägt den Titel Mokuyôbi ni (1968; Am Donnerstag); sie handelt von einem Studenten, der nach einer Bergtour, die eine liminale Erfahrung darstellt, nicht wieder ganz zurück in sein alltägliches Leben findet.


Prototypische Texte sind neben Yôko und Tsumagomi (1970; Ehebande) der 1975 veröffentlichte Roman Hijiri, ins Deutsche übersetzt als „Der Heilige“ (1993). Das neo-folkloristische Szenario spielt in den 1960er Jahren, kurz vor den Olympischen Spielen in Japan und unternimmt – als Gegenprogramm zur wirtschaftlichen Aufrüstung des Landes – einen psychoarchäologischen Gang zur Geschichte ländlicher Begräbnissitten, wobei ein Student aus der Metropole mit der Aufgabe konfrontiert wird, die Rolle des „heiligen Mannes“ auszuüben, um der Großmutter der weiblichen Hauptfigur Sae die Aussicht auf eine angemessene Bestattung zu gewähren. Auf Hijiri folgten die beiden Arbeiten Sumika (1979; Zufluchtsort) und Oya (1989; Die Eltern), die mit dem „Heiligen“ eine Trilogie bilden, sowie Yama ni yuku kokoro (Essays; 1980), Sansôfu (1982; Berge in Aufruhr), Asagao (1983; Trichterwinde), Shôkon no sasayaki (Essays 1984;), Biu (1986; Erzählungen), Yoru no kaori (1987; Der Duft der Nacht), Kari-Ôjôden shibun (1989), Tôkyô monogatari kô (1990; Geschichten aus Tôkyô) und Rakutenki (1992; Aufzeichnungen vom Himmel in Harmonie).


In späteren Romanen und Essaysammlungen, z.B. Hakuhatsu no uta (1996; Weißhaar-Lieder), Funnô (2002; Zorniger Greis), Nogawa (2004), Tsuji (2006: Die Wegkreuzung), Shirowada (2007), Yasuraibana (2010; Blütenbann), Higurashi no koe (2011; Das Zirpen der Zikaden), Ame no suso (2015; Regen am Saum), Yuragu tama no o (2017; Noch eine Weile leben), Rakuten no hibi (2017; Tage in Harmonie) und Kono michi (2019; Dieser mein Weg) widmete er sich Rückblicken in vergangene Jahre und dem Thema des Alters. Der Kotoba no kizashi (2012) betitelte Band, der einen Briefaustausch mit dem Schriftsteller Saeki Kazumi enthält, beschäftigte sich mit der Lage des Landes nach der Dreifachkatastrophe vom 11. März 2011.


Furui war ein poeta doctus der alten Schule und galt als anspruchsvoller Autor mit außergewöhnlicher Sprachsensibilität und elaboriertem Stil, dem seine Kollegen großen Respekt entgegenbrachten. Er war lange Zeit Juror im Auswahl-Komitee des renommierten Akutagawa-Preises. Einen seiner letzten öffentlichen Auftritte hatte er in der Gesprächsrunde Kiki no jidai ni mitomerareru, bungaku no kotoba wa? (Was hat uns die Literatur in schlimmen Zeiten zu sagen?), an der außer Saeki Kazumi noch Tawada Yôko und Matsuura Hisaki teilnahmen.












Links / Literatur: https://www.youtube.com/watch?v=Dg8GfbbFV4Q 危機の時代に求められる、文学の言葉とは? (Bundan TV, Mai 2019)

https://www.persee.fr/doc/ebisu_1340-3656_1994_num_5_1_904 (Véronique Perrin, „Hijiri, Le double voyage: Yanagita Kunio et Furui Yoshikichi“. In: Ebisu / Études Japonaises,1994 /5, pp. 89-130).

https://www.jstage.jst.go.jp/article/nbg/114/0/114_KJ00001023601/_pdf/-char/en (Hayasaka Nanao: Der Übersetzer des Stummen. Robert Musil und der frühe Yoshikichi Furui/Japanische Gesellschaft für Germanistik)

Iwamoto Yoshio: „Yoshikichi Furui: Exemplar of the "Introverted Generation". In: World Literature Today, Vol. 62, No. 3, Contemporary Japanese Literature (Summer, 1988), S. 385-390.

https://repository.kulib.kyoto-u.ac.jp/dspace/bitstream/2433/192657/1/kjs_012_073.pdf 反復する身体 : 古井由吉における記憶と生 (Matsuura Yusuke 2004)

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