top of page

Rezension zu Riku Ondas "Die Aosawa-Morde"

"Auf der Geburtstagsfeier der wohlhabenden Arztfamilie Aosawa in der Küstenstadt K. finden siebzehn Menschen den Tod durch Zyankali. Riku Ondas als Kriminalroman bezeichneter Text kreist um das Rätsel der Täterschaft: Ein Ermittler und zwei Buchautoren forschen nach, wer die Aosawas im Jahr 1973 vergiftet hat und warum. Das Werk, das im japanischen Original Anfang der 2000er unter dem Titel Eugenia erschien, konzentriert sich jedoch nicht auf die Darstellung detektivischer Logik. Die Aosawa Morde führen mittels eines Chors erzählender Stimmen vor Augen, wie wenig verlässlich Erinnerungen sind. Dabei entsteht das Portrait einer hierarchischen Gesellschaft mit ihrer verborgenen Geschichte, aus der unterdrückte Aggressionen und Sehnsüchte aufwallen. Onda baut bei ihrem narratologischen Experiment in erster Linie auf die Beschwörung einer unheilsträchtigen Atmosphäre: Im schwülheißen Klima des hochsommerlichen Japans erscheint das Menetekel der Stadt in Gestalt des zwölfjährigen blinden Mädchens Hisako [...]


Der Autorin gelingt es, zahlreiche starke Szenen wie diese zu gestalten. Als Gesamtkomposition sind Die Aosawa Morde – zumindest in der deutschen Version – weniger mitreißend. Das Lesen erfordert jedenfalls starke Konzentration, da Onda die Möglichkeiten einer verrätselten erzählerischen Struktur hinreichend ausreizt. Im Buch ist die Rede von der komplexen Faltung der Origami-Kranichkette. Ondas mäandernde narrative Brechungen weichen aber von der der Faltkunst inhärenten mathematischen Präzision ab, um den Unwägbarkeiten der menschlichen Psyche sowie dem Rätselhaften und Absurden der menschlichen Existenz Ausdruck zu verleihen – was Makiko Saiga als ästhetisch-intellektuelles Moment des „Seltsamen“ würdigt. Die Strategie, die Dinge in der Schwebe zu belassen, eröffnet in der Tat eine weite Assoziationsfläche, hinterlässt jedoch auch eine gewisse Ratlosigkeit im Hinblick auf die vielen angebotenen Deutungsvarianten und die kaum zu entschlüsselnden Motivketten"













Lisette Gebhardt für literaturkritik.de, 13. Juli 2022



bottom of page