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Gefängnisliteratur

Updated: Feb 12, 2020


Kadokawa Haruki, Daidôji Masashi, Nagayama Norio - Notiz 1

von Christian Chappelow


(Bild: „Seegurkentage – Die Entmenschlichung des literarischen Subjekts?“ © Lunaly

Nach: “Fagin in the Condemned Cell” von George Cruikshank (1839). Illustration für die 23. Monatsausgabe von Charles Dickens’ Oliver Twist)


Vorbemerkung


Thema der Konferenz „Orient in Literature – Literature of the Orient“ Ende März 2019 im polnischen Toruń war „Literature Towards Freedom & Oppression“ – angesichts der zeitgeschichtlichen Entwicklungen ein sehr aktuelles Thema. Im Rahmen der Veranstaltung konnten auf dem in Toruń angenommenen Panel „The Experience of Oppression in Contemporary Japanese Literature – Precarity, Imprisonment, Totalitarian Tendencies“ japanologische Forschungsergebnisse präsentiert werden. In einer Weiterentwicklung der Forschungen zur japanischen Prekariatsliteratur hatte sich die Aufgabenstellung ergeben, Momente von „Unterdrückung“ (oppression) zu untersuchen, wie sie in zeitgenössischen japanischen Texten offenbar zunehmend beschreiben werden. Die Schilderungen von Unterdrückung beinhalten Einschränkungen individueller Lebensgestaltung, die Beschneidung von Meinungsfreiheit bis hin zu Entwürfen einer neuen totalitären Gesellschaft. Die Erweiterung des Beobachtungsradius über die eigentliche Prekariatsliteratur hinaus lenkte die Aufmerksamkeit auch auf „Außenseiterschriftsteller“, die am Rande des etablierten Literaturbetriebs agieren, nur wenig mediale Aufmerksamkeit erfahren und sich dafür eher den Normen des literarischen Mainstreams entziehen können. Eine besondere und bislang noch kaum ins japanologische Blickfeld gerückte Gruppe sind die Autoren einer „Gefängnisliteratur“ (prison literature). Sie schreiben ihre Texte während der Inhaftierung.[1]


In Japan wendet man sich einschlägigen Autoren vorwiegend im Boulevardjournalismus zu und setzt dabei zunächst auf das Faszinosum von Verbrechen, das einen massenmedialen Voyeurismus bedient. Es gibt sicher auch ethische Diskussionen und philosophische Betrachtungen zum eingesperrten Subjekt. In der japanischen Literaturszene beschäftigt man sich jedoch selten mit den Themen Gefangenschaft oder Todesstrafe im Land. Ein Tabuthema, mag man vermuten, welches den eigenen Status im kommerzialisierten Literaturbetrieb der letzten Dekaden gefährden würde. Abseits von Murakami Haruki-Bestsellern und dem noch zu definierenden Kanon der Heisei-Jahre (1989-2019) bietet die Gefängnisliteratur ein Themenreservoir, das zentrale Diskussionsebenen der Nachkriegszeit nach 1945 berührt: das Verhältnis von Individuum und Staatsgefüge, hegemonialen Setzungen und individuellen Freiräumen sowie nicht minder das Verhältnis von Literatur, Öffentlichkeit und Politik.[2]

Kadokawa Harukis „Tage der Seegurke“


An prominenten Beispielen von Schriftstellern und Literaten im Gefängnis mangelt es Japan nicht, und dabei muss es nicht einmal zu Mord und Totschlag gekommen sein. Großes Aufsehen im In- und Ausland erregte so der Fall des Herausgebers, Regisseurs und Lyrikers Kadokawa Haruki 角川春樹 (*1942), der 1975 den Vorsitz des renommierten Kadokawa-Verlagshauses erbte. Kadokawa wurde 1993 angeklagt, einen Bekannten zum Kokainschmuggel aus den USA angestiftet und Verlagsgelder zu diesem Zwecke veruntreut zu haben.[3]

Im September des Folgejahres wird der exzentrische Herausgeber mit dem Dandy-Ruf zu vier Jahren Haft verurteilt, von denen er gut die Hälfte absitzt, zur Feder greift und eine retro-evolutionäre Degeneration im Kerker schildert; seine im Gefängnis verfassten Haiku werden 2004 unter dem programmatischen Titel „Tage der Seegurke“ [Namako no hi 海鼠の日] beim Bungaku no Mori Verlag publiziert. Wie im folgenden Kurzgedicht schlüpft Kadokawa zur Überzeichnung seiner Erfahrung des Gefangenseins lyrisch in die Rolle des Holothurien:


悪辣(あくらつ)な詩を詠んでゐる海鼠かな

Akuratsu na shi o yonde iru namako ka na

Gedichte von solcher Häme intoniert wohl nur sie – die Seegurke[4]

Autoreflexiv spielt dieses Haiku mit der entmenschlichenden Erfahrung der Gefängniszelle, die einerseits durch körperliche Einschränkung, insbesondere Bewegungseinschränkung gekennzeichnet ist, andererseits durch Gedankendegeneration. Die sarkastisch-böswilligen Gedichte aus der Haft, nichts weiter als die primitiven Impulse eines gehirnlosen Planktonfressers, einer hässlichen und grotesken Lebensform?[5]


Kadokawas Gefängnisliteratur reiht sich in die Tradition einer Reihe von Autorinnen und Autoren ein, die die pointierte, humorvolle und dem Moment der Vergänglichkeit zugehörende Poetik des Haiku zur Schilderung einer prekären Situation des kreativen Ichs nutzen. Es ist eine Pose lyrischen Schreibens, der sich auch der schwedische Nobelpreisträger Tomas Tranströmer (1931-2015) mit Blick in die Zelle bedient, um seine Arbeit in einer Jugendstrafanstalt in den späten 1950er Jahren zu literarisieren.[6]


Daidôji Masashi: Politik und Reue


Literatur- und zeitgeschichtliche Episoden von Gefängnisliteratur nach 1945, die den Fall Kadokawa an Brisanz bei weitem übertreffen, führen in das Erbe des japanischen Linksterrorismus der 1970er Jahre.

Daidôji Masashi 大道寺将司 (1948-2017), Häftling im noch heute genutzten Todestrakt [7], ehemaliger Anführer der kommunistischen „East Asia Anti-Japan Armed Front“ (東アジア反日武装戦線, Higashi Ajia Hannichi Busô Sensen), wird 1987 für seine Rolle bei einem verheerenden Bombenanschlag in Tôkyô 13 Jahre zuvor zum Tode verurteilt.[8] Seine im Todestrakt verfassten Kurzgedichte werden durch die Hilfe anderer Schriftsteller und Herausgeber – nennenswert dabei unter anderem der Akutagawa-Preisträger Henmi Yô

辺見庸 (*1944), der Daidôji im Gefängnis aufsuchte – zwischen 1997 und 2015 in insgesamt fünf Anthologien publiziert.


Die 2012 bei Ôta Shuppan veröffentlichte Sammlung Kan‘ikki 棺一基 [„Ein Sarg“] umfasst die gesammelten Kurzgedichte Daidôjis und zeigt ein breites Spektrum lyrischer Abstraktion von Gefangenschaft, die der Linksterrorist als „Rote Libelle“ (akatonbo) zwischen Selbstzweifel, Weltschmerz und Reute variiert – scheinbar in Bestätigung der korrektiven Intention seiner Haftstrafe.


死者たちに如何にして詫ぶ赤とんぼ

Shisha-tachi ni ikanishite wabu akatonbo

Die Toten um Vergebung bitten, irgendwie, rote Libelle

春雷に死者たちの声重なれり

Shunrai ni shisha-tachi no koe kasanareri

Stimmen der Toten, kumuliert im Frühlingsgewitter

ゆく秋の死者に請はれぬ許しかな

Yuku aki no shisha ni kowarenu yurushi ka na

Tote des späten Herbstes, gewähren sie Verzeihung?

ででむしやまなうら過る死者の影

Dedemushi ya mana ura yogiru shisha no kage

Schnecken, und an der Netzhaut entlang die Schatten der Toten


Das Eingeständnis von Reue beziehungsweise die Milderung radikaler politischer Mittel in Gefangenschaft erinnert dabei an internationale Klassiker der Gefängnisliteratur, z.B. Brendan Behans (1923-1964) autobiographischen Roman Borstal Boys (1958), in dem der Autor von der Relativierung seines irischen Republikanismus durch die Konfrontation mit anderen britischen Gefangenen schreibt.[9]


Solch eine ideologische Revision kennt Daidôji nicht: Seine hermetisch angelegte Poetik aus der Zelle spielt vielmehr mit klassischer Literatursprache und traditioneller lyrischer Ästhetik; sie ist im Kontext zeitgenössischer Gedichte der 1990er und 2000er Jahre als hochgradig stilisiert, syntaktisch wie semantisch als komplex, wenn nicht gar diffus zu bezeichnen. Eindeutig zeigt sich die Bitte um Verzeihung bei den Opfern des Terrors. Nicht erkennbar bleibt jedoch ein Eingeständnis politischer Niederlage oder ein grundsätzlicher Sinneswandel. Somit können die Todestrakt-Gedichte Daidôjis einerseits als relevanter Teilaspekt im angespannten Verhältnis von Literatur und Politik der letzten Jahrzehnte diskutiert werden, andererseits im Zeitalter von Ökonomisierung, Digitalisierung und Eineinhalbparteiensystem[10] in Japan auch als symbolhafte Liquidation grundsätzlicher fundamentalpolitisch-ideologischer Auseinandersetzungen gelesen werden, deren Erbe in den Dekaden der Jahre Heisei (1989-2019) nur noch in hermetischen lyrischen Codes, d.h. als abstrakte Sendung aus dem Todestrakt zu vernehmen ist.


Nagayama Norio – Literatur und öffentliche Diskussionen um die Todesstrafe in Japan


Ob nun Drogenschmuggel oder Linksterrorismus, vorübergehende Haftstrafe oder Todesurteil, rote Libelle oder Seegurke – Gefängnisliteratur wirft im Falle des gegenwärtigen Japan auch Licht auf eine – zumindest juristisch wohl vertretbare – Form von Prekarität, auf eine periphere Existenzsituation in der gegenwärtigen japanischen Gesellschaft. Populäre und medienpräsente Fälle, wie etwa die Hinrichtung Asahara Shôkôs 麻原彰晃 am 6. Juli 2018 für seine Rolle beim Giftgasanschlag auf die Tôkyôter U-Bahn 1995 oder die des Schriftstellers und Mörders Nagayama Norio 永山則夫 am 1. August 1997, leben medial zwar eindeutig von öffentlichem Voyeurismus, bieten allerdings darüber hinaus Gelegenheit, Gefangenschaft und Todesstrafe in Japan aus juristischen, soziopolitischen und ethischen Standpunkten öffentlich zur Diskussion zu stellen.


Dies betrifft vor allem den Fall Nagayamas, der sich im Todestrakt das literarische Schreiben beibrachte und auch internationale Anerkennung als Schriftsteller und selbstverständlich bei Kritikern der Todesstrafe fand – so unter anderem in Deutschland, wo Nagayama zum Mitglied des Landesverbands Saarland des Verbands Deutscher Schriftsteller ernannt wurde.[11] In Japan gewinnt er 1983 hinter Gittern den 19. Preis für Neue Literatur [新日本文学賞 Shin Nihon Bungakushô]. Der aus einfachen Verhältnissen aus Hokkaidô stammende Nagayama wurde 1969 für vier Raubüberfälle verhaftet, bei denen er zwei Taxifahrer und zwei Sicherheitsbeamte erschoss. Sein Debütwerk Muchi no namida 無知の涙 [Tränen der Unwissenheit] wurde zu seiner Verteidigung bei späteren Neuverhandlungen gelesen – ohne Erfolg.


Das umstrittene Urteil wurde in den frühen 1980er Jahren revidiert, um nur zwei Jahre später wieder durch den Obersten Gerichtshof Japans bestätigt zu werden – ein juristisches Katz-und-Maus Spiel, welches schließlich zur Einführung der neun „Nagayama-Kriterien“ für Todesurteile in Japan führte (gute Einführungen in die juristische Dimension des Falles Nagayama bieten u.a. Daniel A. Métreaux 2009 oder Lilian Yamamoto 2015).[12] Die allgemeinen Gegebenheiten in japanischen Gefängnissen werden auch aktuell diskutiert, so beispielsweise von der Rechtsanwältin Tagusari Maiko 田鎖麻衣子, die Vorsitzende des NPO Center for Prisoners’ Rights in Japan (www.cpr.jca.apc.org) ist und mehrfach zum Thema publizierte.[13]


Abschließende Gedanken


Nur Seegurken also hinter Gittern? Gefängnisliteratur bietet als literaturwissenschaftlich-japanologisches Forschungsthema interdisziplinäre Brisanz, bewegt sich in besonderem Maß an einer Schnittstelle von Literatur und zeitgeschichtlicher Realität, was beispielsweise der Daidôji-Herausgeber Henmi Yô 辺見庸 (*1944) – beeinflusst durch seine Besuche im Todestrakt – essayistisch diskutiert und zu einem Appell gegen die sprachlich-diskursive Entmenschlichung von Häftlingen in der japanischen Öffentlichkeit erhoben hat. Ganz im Sinne seiner polemischen Argumentationen kennzeichnet er die öffentliche Aussparung dieses Topos als faschistoide Methodik im gegenwärtigen Japan, so vor allem 2013 in der bei Mainichi Shimbunsha publizierten Essaysammlung Ima katarienu koto no tame ni – Shikei to atarashii fashizumu いま語りえぬことのために・死刑と新しいファシズム [Im Sinne des Unaussprechlichen – Todesstrafe und neuer Faschismus]. Henmi schreibt unter anderem darüber, wie man das Schicksal von „Todessträflingen“ (shikeisha) durch sprachliche „Abstraktion“ (chûshôka) entmenschlicht, was in den Augen des Schriftstellers dazu führt, dass in Japan kritisches Denken über die Todesstrafe kaum ausgeprägt sei und die Bürger Japans noch nicht einmal wüssten, ob sie für oder gegen die Todesstrafe sein sollen (Henmi 2013: 68-75).


Die Besonderheiten einer Gefängnisliteratur, die der Untersuchung wert wären, betreffen das Sujet des Gefangenen als solchen, darüber hinaus die Möglichkeit, singuläre Sichtweisen auf die Gegenwartsgesellschaft durch ein interniertes Individuum zu finden, welches ohne körperliche Selbstbestimmung agiert. Auch der Sonderstatus dieser Arbeiten im Kontext zeitgenössischer Literaturproduktion sowie die Rezeptionsästhetik eines potentiell tabuisierten Topos bieten Brisanz. Dies betrifft die Darstellung von Gefängnissen aus Sicht des Inhaftierten als Gegennarrativ zur öffentlichen Wahrnehmung. Im Falle Daidôjis und der Todesstrafe in Japan betont sie schließlich auch die Notwendigkeit, sich mit dem Erbe des gewaltsamen politischen Widerstandes auseinanderzusetzen.

Besprochene Literatur / Empfehlungen zum Thema Gefängnisliteratur:


Ball, D. (1977): The Experience of prison: an anthology of prose, drama, verse, and picture. London: Longman.

Bould, G. (Ed.) (2005): Conscience Be My Guide: An Anthology of Prison Writings. New York: Zed Books.

Chevigny, B.G. (Hrsg.) (1999): Doing time: 25 years of prison writing. New York: Arcade.

Daidôji Masashi (2012): Kan’ikki - Daidôji Masashi zenku-shû. 棺一基 大道寺将全司句集. Tôkyô: Ôta Shuppan.

Dokumentationsstelle für Gefangenenliteratur der Universität Münster (Hrsg.) (2002): Nachrichten aus Anderwelt. Ingeborg-Drewitz-Literaturpreis für Gefangene. Münster: Agenda Verlag.

Franklin, H. B. (Hrsg.) (1998): Prison writing in twentieth century America. New York: Penguin.

Gill, Robin D. (2003): Rise, Ye Sea Slugs!. Key West, Florida: Paraverse Press.

Henmi Yô (2013): Ima katarienu koto no tame ni – Shikei to atarashii fashizumu いま語りえ

ぬことのために・死刑と新しいファシズム. Tôkyô: Mainichi Shinbunsha.

Itô Yuki (2007): „New Rising Haiku: The Evolution of Modern Japanese Haiku and the Haiku Persecution Incident.“ Online-Quelle, einsehbar unter: https://www.thehaikufoundation.org/omeka/items/show/3566.

Kadokawa Haruki (2004): Namako no hi 海鼠の日. Tôkyô: Bungaku no Mori.

Kessler, Nicola (2001): Schreiben, um zu überleben. Studien zur Gefangenenliteratur. Godesberg: Forum Verlag.

Klein, Uta und Helmut H. Koch (Hrsg.) (1988): Gefangenenliteratur. Sprechen - Schreiben - Lesen in deutschen Gefängnissen. Hageb: Padligur.

Klein, Uta (1992): Gefangenenpresse. Über ihre Entstehung und Entwicklung in Deutschland. Godesberg: Forum Verlag.

Métreaux, Daniel A. (2009): „The Nagayama Criteria for Assessing the Death Penalty in Japan: Reflections of a Case Suspect.” In: Southeast Review of Asian Studies. Volume 31 (2009), S. 282–289.

Nagayama Norio (1971): Muchi no namida 無知の涙. Tôkyô: Kawade Bunko.

Pohl, Manfred (1998): „Zur Politik in Japan: Zwischen Herrschaftsmonopol und Einparteien-

Demokratie: Die LDP“. In: Pohl, Manfred und Hans Jürgen Meyer (Hrsg.): Länderbericht Japan. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung. S. 81.

Schaarschmidt, Siegfried (1997): „Literatur aus der japanischen Todeszelle: Der Fall des Nagayama Norio“ sowie „Nagayama Norio: Gedichte und Texte“. Übersetzt von Siegfried Schaarschmidt. In: Hefte für ostasiatische Literatur. 23, 1997, S. 10–19.

Schilling, Mark (1997): The Encyclopedia of Japanese Pop Culture. Weatherhill. S. 79–85.

Tagusara Maiko (2020): „Behind Bars in Japan: Fighting to Improve Prison Conditions and Inmate Treatment.” Online-Quelle, einsehbar unter: https://www.nippon.com/en/japan- topics/c05404/behind-bars-in-japan-fighting-to-improve-prison-conditions-and-inmate- treatment.html

Tranströmer, Tomas (2011, Original 1959): Prison: Nine Haiku from Hällby Youth Prison (1959), Tomas Tranströmer. Translated from the Swedish by Malena Mörling. Postscript by Jonas Ellerström. Portland, Oregon: Tavern Books.

Weigel, Sigrid (1982): ‚Und selbst im Kerker frei…!‘ Zur Theorie und Gattungsgeschichte der Gefängnisliteratur 1750-1933. Marburg: Guttandin & Hoppe.

Yamamoto, Lilian (2015): „Prison literature in defense of a sentenced to death defendant in Japan – ‘Tears of ignorance’ by Norio Nagayama.” In: Anamorphis – Revista Internacional de Direito e Literatura v.1 n.2, julho-dezembro 2015. S. 267-283.



 

[1] Die Schnittstellen von realem Gefangensein und dessen Literarisierung werden auch germanistisch eingehend diskutiert (Klein/Koch 1988, Klein 1992, Keßler 2001, Dokumentationsstelle für Gefangenenliteratur der Universität Münster 2002, Berndt 2016). Vergleichbare japanologische Gesamteinschätzungen zum Thema Gefängnisliteratur fehlen noch.


[2] Freilich stand bereits in der imperialen Vergangenheit beispielsweise das Haiku an vorderster Front des militaristisch-patriotischen Literaturbetriebs Japans und seiner Zensur, mit einigen nennenswerten Inhaftierungen, was jedoch eine eigenständige literaturgeschichtliche Diskussion erforderte. So wurden 1940 16 Dichter der Kyôdai Haiku-Gruppe inhaftiert, 1941 folgen weitere Festnahmen von Mitgliedern „anti-autoritärer“ Haiku-Zirkel in Tôkyô (Itô 2007). Link: http://gendaihaiku.com/ito/new-rising-haiku.htm.


[3] Vgl. Schilling, Mark (1997): The Encyclopedia of Japanese Pop Culture. Weatherhill. S. 79–85.


[4] http://www.kadokawaharuki.co.jp/soul/poem/0704.html.


[5] Bemerkenswert ist die Popularität der japanischen Seegurke (namako) im Dreizeilengedicht Haiku. Der aus Florida stammende bilinguale Lyriker Robin D. Gill (*1951), der seit seinem Debüt in den 1980er Jahren Gedichte in englischer wie in japanische Sprache verfasst, publizierte 2003 eine umfassende Anthologie mit selbst verfassten Haiku zur Seegurke und Übersetzungen japanischer Kurzgedichte zum Thema (Titel: Rise, Ye Sea Slugs! 1,000 holothurian haiku, Paraverse Press).


[6] Tranströmer arbeitete bis in die 1960er Jahre in der Jugendstrafanstalt „Roxtuna“ in Schweden. Die Reihe von neun Haiku zum Thema Gefängnis erschien 2011 in englischer Übersetzung bei Tavern Books unter dem Titel Prison: Nine Haiku from Hällby Youth Prison (1959). Link: https://www.tavernbooks.org/the-living-library/under-an-arkansas-sky-by-jo-mcdougall-sp8ya-2w626-9lgw7.


[7] Im Jahr 2018 gab es laut der Initiative „Death Penalty Worldwide“ in Japan 15 Hinrichtungen und 121 Personen in der Todeszelle. Die meisten Hinrichtungen wurden per „Erhängen“ (kôshu-kei) vollzogen (http://www.deathpenaltyworldwide.org/country-search-post.cfm?country=japan). Kürzlich hat es der Fall des Boxers Hakamada Iwao 袴田巌 (*1936) in die Medien geschafft, der zum Rekordhalter für die längste Zeit im Todestrakt (48 Jahre) avancierte, bevor er im März 2014 für unschuldig befunden wurde (https: //www.japantimes .co.jp / news / 2019/01/23 / national / kriminalrechtlich / geschichte-iwao-hakamada-boxer-verbrachte-48-jahre-todeszelle-wurde-manga-serie / #. XRM4mesza70).


[8] Der Bombenterror vom 30. August 1974 traf die Zentrale von Mitsubishi Heavy Industries im Geschäftsviertel Marunouchi der japanischen Hauptstadt und forderte 8 Tote und 378 Verletzte.


[9] Ein borstal bezeichnete eine britische Besserungsanstalt für Jugendliche. Behan wurde in den 1940er Jahren für seine Rolle als IRA-Aktivist inhaftiert.


[10] Den Begriff benutzt bereits Pohl in den späten 1990er Jahren, um über die Vormachtstellung der LDP in den späten Nachkriegsdekaden zu schreiben. S. Manfred Pohl: „Zur Politik in Japan: Zwischen Herrschaftsmonopol und Einparteien-Demokratie: Die LDP“, in: Länderbericht Japan, Manfred Pohl/Hans Jürgen Mayer (Hrsg.), 1998, Bonn, S. 81.


[11] Gedichte und Prosa Nagayamas wurden 1997 durch Siegfried Schaarschmidt in den Heften für Ostasiatische Literatur auch ins Deutsche übersetzt, im Artikel „Literatur aus der japanischen Todeszelle. Der Fall des Nagayama Norio“.


[12] Die Nagayama-Kriterien, die vor einem Todesurteil überprüft werden müssen sind: 1) Die Beschaffenheit des Mordes. 2) Die Motivation des Täters. 3) Die Methode des Mordes. 4) Die Anzahl der Opfer. 5) Die Gefühle der Familie des Opfers/der Opfer. 6) Die sozialen Implikationen des Falls. 7) Das Alter des Beschuldigten. 8) Mögliche Vorstrafen des Beschuldigten. 9) Die Frage, ob der Beschuldige Reue zeigt (Yamamoto 2015: 273).


[13] In ihrer Arbeit als Rechtsanwältin hat Tagusari mehrmals Todessträflinge vor Gericht verteidigt. In einem übersetzten Beitrag für Nippon.com vom 22. Januar 2020 äußert sie sich prinzipiell positiv über Entwicklungen nach den 2006 ins Leben gerufenen Reformen des Gefängnissystems. Diese definierten die rechtliche Situation von Gefangen in Japan klarer. Die Implementierung dieser neuen Vorgaben hänge jedoch nach wie vor stark von den jeweiligen Aufsehern ab und sei verbesserungswürdig (Tagusari 2020).

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