von Eva-Brigitte Jungmann
Der gleichnamige Katalog begleitete die Ausstellung „Murakami – Ego“ im Museum für Islamische Kunst (Doha, Emirat Katar), die vom 9. Februar bis zum 24. Juni 2012 präsentiert wurde und 60 Werke auf einer Fläche von 2.300 qm zeigte. Der Band ist über das Verlagshaus SkiraRizolli veröffentlicht worden. Murakamis „Ego“, im Stil seiner „Superflat“-Charaktere, ziert das Cover. Das Bezugsmaterial des Bucheinbandes ist überraschend weich und mag dem Betrachter vermitteln, er würde die Haut des künstlerischen Egos berühren. Der erste Eindruck könnte damit vielleicht sogar zwiespältige Gefühle auslösen, macht aber zugleich auch auf das neugierig, was sich über 268 Seiten hinweg offenbart.
Ein angespanntes Verhältnis zu Japan
Der Titel der Ausstellung lässt vermuten, dass das Ego von Murakami in Form einer gewaltigen Selbstschau dargestellt werden soll. Er ist jedoch insofern passend und irreführend zugleich, weil sich weniger der Wunsch des Künstlers darin verbirgt, sein eigenes Ego zu präsentieren, sondern das „Ego“, welches er in unzähligen Bildern über die Postmoderne Japans gemalt hat, zum Ausdruck zu bringen. Er malt sich im Stil seiner bekannten Charaktere wie Mr. DOB, Kaikai und Kiki, um selbst in multiplen Versionen präsent zu sein, und konfrontiert den Betrachter mit seinem visuellen und psychologischen Universum. Murakami kommt in wenigen Textausschnitten zu Wort, die aus einem Interview mit Kurator Massimiliano Gioni stammen und zwischen den einzelnen Werken im Katalog platziert werden. Der Künstler sagt, dass der Titel offenbart, was tatsächlich hinter seinem Ego steckt: Es sei „superflach“, wie seine Werke. Gleichzeitig reflektiert er ein angespanntes Verhältnis zu Japan. Das Endergebnis ist eine Zeichnung seiner Heimat, die laut Gioni „grotesk, banal, respektlos und apokalyptisch zugleich“ wirkt. Die Ausstellung wird von ihm als „Murakami City“ bezeichnet, eine „urbane Erfahrung“ und „Science-Fiction Umgebung“.
Post-Fukushima Kunst
Gesondert zu erwähnen ist das vermeintlich religiös geprägte Kunstwerk „The 500 Arhats“ (2012), das für diese Ausstellung mit Hilfe von 200 Kunststudierenden aus Japan kreiert worden ist und zugleich Murakamis Antwort auf die Dreifachkatastrophe von Fukushima darstellt. Das Werk ist nicht nur die bis heute größte Arbeit Murakamis, sondern misst mit einer Länge von 100 m das bisher weitläufigste zeitgenössische Kunstwerk überhaupt. In diesem Katalog wird den 500 Arhats als einzigem Werk ein eigenes Zwischenkapitel gewidmet. Der Kurator Gary Carrion-Murayari schreibt, dass die 500 Arhats bereits in der Edo-Zeit ein beliebtes Motiv in Zeiten von Naturkatastrophen gewesen seien (zum Beispiel die 500 rakan von Kanô Kazunobu (1816-1863)). In Murakamis Werk ist das Bild in 4 Segmente (je 25 m breit) unterteilt. Jeder Teilbereich nimmt ein eigenes Universum ein und repräsentiert ein Element von Wind, Wasser, Feuer und Erde, und jede Einheit beherbergt ein Wesen der chinesischen Mythologie: den azurblauen Drachen (jap. 青龍 seiryû, Osten/Frühling), den feuerroten Phoenix (jap. 朱雀 shujaku, Süden/Sommer), den weißen Tiger (jap. 白虎 byakko, Westen/Herbst) und die schwarze Schildkröte (jap. 玄武 genbu, Norden/Winter). Bewohnt werden die einzelnen Universen von unzähligen Arhats, Drachen, Vögeln und Dämonen, die im typischen „Superflat“-Stil, also ausgesprochen detailliert, aber losgelöst von ihrem Umfeld gemalt sind. Trotz der unglaublichen Anzahl an Arhats zeichnen sich alle mit einer individuellen, leicht grotesken Mimik und satten bunten Farben aus. Die Arhats stehen für buddhistische Heilige, die nach ihrem Tod die Lehre Buddhas weiterhin auf Erden verbreiten sollen und für ihre Einhaltung sorgen. Die 500 Arhats von Murakami bringen jedoch keine Erlösung, sondern allein die Einsicht, dass der Mensch machtlos gegenüber der Natur ist und ihr schließlich ausgeliefert sein wird. Die Arhats haben keine Verbindung mehr zu den Menschen, die überreizt sind durch den ununterbrochenen Datenfluss. Sie umgeben sie nur noch passiv in ihrem Leid. Für Murakami ist das sein erstes religiöses Gemälde, und es stellt eine Art Wendepunkt innerhalb seines Schaffens dar: Die Charaktere und der Betrachter verlassen die bisherige superflache, künstliche Perfektion und tauchen ein in die Tragik der menschlichen Existenz.
Kunst als Politikum
In dem Katalog kommen nicht nur Murakami Takashi und die beiden Kuratoren Massimiliano Gioni und Gary Carrion-Murayari zu Wort, sondern auch die Vorsitzende der Museumsbehörde Sheikha Al-Mayassa Bint Hamad Bin Khalifa Al-Thani, die Schwester des Staatsoberhaupts Tamim Bin Hamad Bin Khalifa Al-Thani und Fahad Al-Mursel, der mit „The Metamorphosis of Light“ ein Gedicht zur Ausstellung verfasste. Al-Mayasa bint Hamad bin Khalifa Al Thani fasst in ihrem Vorwort zusammen, dass sie hofft durch die Zusammenarbeit und Förderung zeitgenössischer Kunst die Auffassungen von Besuchern Katars gegenüber der landeseigenen Kultur positiv zu beeinflussen sowie den internationalen Dialog und lokale Bildungsbemühungen zu fördern. Ihre Einführung ist mit Bildern des damals noch regierenden Staatsoberhaupts Sheikh Hamad bin Khalifa Al-Thani und ihrem Bruder versehen. Auch die restlichen Beiträge lesen sich beinahe wie Werbetexte und lassen wissenschaftliche Genauigkeit vermissen. Es ist daher wenig überraschend, dass der Katalog an keiner Stelle auf die humanitäre Situation in Katar verweist. Man könnte hier nur die Vermutung aufstellen, dass ein international renommierter Künstler „eingekauft“ wurde, um die Bemühungen Katars bezüglich Reformvorhaben zu betonen, und nicht, um auf Missstände hinzuweisen. Um Murakami Takashi zu zitieren: „H.E. Sheika Al Mayassa, sister of the Emir, has chosen to use the Resources at her disposal to give her people access to the world‘s best art and to promote intercultural understanding”.
Nicht ignoriert werden sollte, dass Katar seit Jahren als Geldgeber für kulturelle und sportliche Großereignisse zu profitieren versucht, wobei die Umsetzung mancher Vorhaben umstritten ist.[1] Amnesty International kommt beispielsweise zum Schluss, dass bis zum Ende der Bauarbeiten für das Fußballstadion 4.000 Menschen auf den Baustellen sterben werden. Die Situation in Katar war 2012 längst bekannt und bereits seit der Vergabe der WM im Dezember 2010 in aller Munde. Selbstredend ist Murakami Takashi nicht auf einer karitativen Mission gewesen, als er mit einem Team von 800 Mitarbeitern seine bisher größte Ausstellung aufgebaut hat, aber es ist angesichts der bis heute andauernden humanitären Missstände in Katar, den sich schleppenden Reformbemühungen und der Tatsache, dass Murakami hätte in irgendeiner Form Einfluss nehmen können, enttäuschend. Offenbar lässt sich diese Art von politischem Engagement nicht als kawaii-Merchandise in Museumsshops verkaufen und passt somit nicht in sein Geschäftsmodell. Im Vordergrund stand dagegen wohl eher der Wunsch beider Seiten, zum 40-jährigen Jubiläum der Beziehungen zwischen Japan und Katar den kulturellen Austausch beider Länder zu fördern. Das ist zunächst durchaus legitim. Der Kunstbetrieb muss nicht immer politisch sein, kann sich jedoch niemals absolut neutral positionieren. Wenn man Großaufträge eines international in Kritik stehenden Staates annimmt, sollte sich ein „Global Player“ wie Murakami den kritischen Stimmen nicht entziehen. Selbst eine sehr gelungene Ausstellung und ein hochwertiger Katalog können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Katar vorerst ein Unrechtsstaat bleibt (Spiller 2020), und in Zeiten, in denen sich immer mehr Künstler vor willkürlichen Verhaftungen in acht nehmen müssen, sollte man auch Kunst jederzeit kritisch und reflektiert rezipieren.
Letztendlich heißt das nicht, dass der Katalog nicht zu empfehlen sei. Er liefert durchaus das, was er versprochen hat: Auf jeder einzelnen Seite erhält man ein Puzzleteil, um das „superflache“ Ego von Murakami und das, was er von Japan zeichnet, zu verstehen. Der textarme Katalog profitiert von seinem Bilderreichtum und vergegenwärtigt das Universum des Künstlers wie noch kein Band zuvor. Allein die Darstellung der 500 Arhats lässt ahnen, wie imposant die Ausstellung gewesen sein muss. Trotz der berechtigten Kritik an dem Umfeld, in dem Murakami – Ego entstanden ist, kann dieser Katalog von keinem Kunsthistoriker oder kunstwissenschaftlich arbeitenden Japanologen, der sich mit Murakami Takashi beschäftigt, ignoriert werden.
(Bild: Cover des Ausstellungskataloges
© Murakami Takashi)
Murakami Takashi, Massimiliano Gioni (Hg.) (2012): Murakami – Ego, Doha, Museum für Islamische Kunst / Skira Rizzoli Publications, New York. Ladenpreis 56,99 € (75,00$).
Literaturangaben / Quellen:
Amnesty International (2016): „The ugly side of the beautiful game. Exploitation of migrant workers on Qatar 2022 World Cup Site”. Datiert März 2016. https://www.amnesty.de/sites/default/files/2018-09/Amnesty- Bericht_Katar_Arbeitsmigranten_Sep2018.pdf (letzter Zugriff 14.01.2020).
„Arhats in China und Japan“. In: Bernhard Scheid (Hg.): Religion-in-Japan: Ein Web- Handbuch. Universität Wien, seit 2001 (Stand: 15.11.2019). https://www.univie.ac.at/rel_jap/an/Essays/Arhats?oldid=73306 (letzter Zugriff 14.01.2020)
Booth, Robert (2013): „Qatar World Cup construction 'will leave 4,000 migrant workers dead’”. In: The Guardian: 26.09. https://www.theguardian.com/global- development/2013/sep/26/qatar-world-cup-migrant-workers-dead (letzter Zugriff 14.01.2020).
Dazed Digital (2012): „Takashi Murakami’s Ego.“ [Interview mit Murakami Takashi]. Datiert 14.02. https://www.dazeddigital.com/artsandculture/article/12657/1/takashi-murakamis-ego (letzter Zugriff 14.01.2020).
Mori Art Museum (2016): Tenrankaigaiyô [Ausstellungszusammenfassung]. https://www.mori.art.museum/contents/tm500/mobile/exhibition.html (letzter Zugriff 14.01.2020).
Qatar Museum (2012): „Ego by Takashi Murakami. Fine Art meets Pop Culture.” http://www.qm.org.qa/en/project/ego-takashi-murakami (letzter Zugriff 14.01.2020).
Scharfenort, Nadine (2013): „Herrschaftswechsel in Katar – gleicher Kurs oder neue Wege?“. In: GIGA Focus Nahost 7/13, German Institute for Global Area Studies, S. 1-8. https://www.giga-hamburg.de/de/system/files/publications/gf_nahost_1307.pdf.
Spence, Rachel (2019): “Why more artists face jail around the world”. In: Financial Times: 05.04. https://www.ft.com/content/d310d43a-552c-11e9-a3db-1fe89bedc16e (letzter Zugriff 14.01.2020).
Spiller, Christian (2020): „Ein vorsichtig modernisierter Unrechtsstaat“. Datiert 8.01. https://www.zeit.de/sport/2020-01/trainingslager-doha-menschenrechte-katar-fc-bayern- muenchen/komplettansicht (letzter Zugriff 14.01.2020).
[1] Das problematische Vorgehen Katars beschreiben u. a. Amnesty International (2016), Robert Booth (2013), Christian Spiller (2020). Emir Hamad (Staatsoberhaupt bis 2013) galt als reformfreudig, wie sich beispielsweise an der Einführung des Frauenwahlrechts (1999) zeigt, der Ausarbeitung einer Verfassung (mit umfassendem Entscheidungsfreiraum für die Herrscherfamilie) oder an der Etablierung des Nachrichtensenders Al Jazeera. Dieser Sender wird zwar als glaubwürdige Stimme in der arabischen Welt wahrgenommen, darf aber über die Herrschaftsfamilie in Katar sowie über das Land selbst nicht berichten. In Bezug auf Gleichberechtigung zeigen sich nach wie vor erhebliche Mängel, und der Zugang zu öffentlichen Stellen wird Frauen ebenfalls erschwert. Gleichzeitig werden wichtige politische Entscheidungen weiterhin innerhalb der Herrschaftsfamilie getroffen, Wahlen zum Schura-Rat, der Entscheidungsgewalt innehat, wurden immer wieder verschoben. Des Weiteren verzögert sich die Abschaffung des kafala-Systems, ein Bürgschaftssystem zwischen Arbeitgeber und immigrierten Arbeitnehmern, das u.a. wegen der Fußballweltmeisterschaft in Katar (2022) und der wirtschaftlichen Beziehungen des Landes jedes Jahr aufs Neue in der Kritik steht.
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