top of page

Rezension zu Daniel Blau: X-Ray. Japan – 1945. Katalog. Munich 2020.

Updated: Feb 20, 2021

Von Eva Jungmann

X-RAY. JAPAN – 1945. Der vorliegende kleine Katalog basiert auf einer Fotografieausstellung, die von der Münchner Galerie Daniel Blau anlässlich des 75. Gedenktages im vergangenen Jahr zur Bombardierung Hiroshimas und Nagasakis am 6. und 9. August 1945 im Zeitraum von 28. Januar bis zum 9. März 2021 konzipiert wurde. Die Publikation zeigt historische Zeitdokumente – darunter bekannte Fotografien des japanischen Fotografen Yamahata Yôsuke (1917-1966) – in nie dagewesener Form. Nicht nur der Bezug auf den Gedenktag, sondern auch das Enddatum der Ausstellung, am 9. März 2021, zwei Tage vor dem 10. Jahrestag der Erdbebenkatastrophe von Fukushima und der darauf folgenden Havarie des Atomkraftwerkes Fukushima Daiichi, stellt noch eine weitere Verbindungslinie her: Japan erscheint als das Land, das – zeitgeschichtlich versetzt – zwei Mal mit Nuklearereignissen konfrontiert wurde.


Daniel Blau – Ein Experte auf dem Gebiet

der historischen Fotografie

Die Galerie Daniel Blau, 1990 in München gegründet und seit 2015 in der mondänen Maximilianstraße niedergelassen, ist keine unbekannte Größe, wenn es um mehr oder weniger provokative Ausstellungen historischer Zeitdokumente und eben auch um Kriegsfotografie geht. Die bisherige Schwerpunktsetzung des Galeristen Blau, Sohn des bekannten deutschen Gegenwartskünstlers Georg Baselitz (*1938), umfasst die amerikanische und deutsche Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts. Ein vorläufiges Highlight im Portfolio der Galerie stellen die frühen Zeichnungen Andy Warhols (1928-1987) dar, dem Idol einer ebenso subversiven wie kommerziellen US-Kunstszene, welche eine bis dahin nur wenig beachtete Facette des Pop-Artisten offenbarte und das Urteilsvermögen Blaus – „im Bewährten Erstaunliches zu finden“ – betont. [1]


X-RAY. JAPAN – 1945.

Die Ausstellung Ende Januar ist nicht der erste Berührungspunkt der Galerie mit ihrem Gegenstand. Das Schlagwort der Atom Fotografie findet bereits im Jahr 2008 mit Beauty of Destruction II (2008) und A-Bomb. 1945-62. (2008) ihren Weg in die Ausstellungsräume des Kunsthändlers. Es folgen A-Bomb (2011), ATOM – JUST TESTING? (2017-2018) und ATOM (2019), deren Exponate repräsentativ zwischen den Polen schrecklicher Zeitdokumente und faszinierender Kunstwerke stehen. Der erste Blick offenbart sofort eine Besonderheit des Begleitheftes – die Fotografien werden farblich invertiert, sind also Negativbilder. Die Einführung lässt eine Begründung vermissen, warum die Fotografien in dieser Transformation präsentiert werden, jedoch hat sich die Galerie in einer früheren Ausstellung Photographer’s Own (2012) folgendermaßen dazu geäußert:


„A negative can be so much evocative than a positive print. (…) Like a printing plate, the photographic negative has long been regarded as a stage in working process. Surrealism and other lessons in art have taught us how to look at the more abstract pictures of the world. We have since begun to appreciate the photographic paper negative with its saturated, ominous dark against the ethereal pale as a work of art in its own mysterious beauty!”[2]


Ein Objekt aus dem Katalog, das den Eindruck eines mysteriösen, beeindruckenden Kunstwerkes vermittelt und in dem genau dieses Zusammenspiel zur Geltung kommt, ist Nagasaki Journey Panorama 1/2 und 2/2, August 10, 1945 von Yamahata Yôsuke, das sich über die Seiten 38 und 39 erstreckt. Es handelt sich hierbei um einen Silbergelatinen-Druck auf glänzendem Faserpapier mit den Maßen 8,8 x 13,3 cm. Yamahata Yôsuke, so erfährt man, war als Kriegsfotograf tätig und damit beauftragt, den radioaktiven Niederschlag in Nagasaki festzuhalten.


Beim ersten Blick auf das Foto überwältigt die schiere Masse an Trümmern. Es ist nicht möglich zwischen dem Schutt Opfer zu identifizieren. Einzig eine Straße bahnt als schwarze Linie einen Weg durch die Zerstörung und lenkt den Blick diagonal durch das Werk. Dabei sind nicht nur Reste eines Fabrikgeländes und ein Skelett eines Gebäudes zu erkennen, sondern schemenhaft Menschen, die sich auf dem Weg durch die zerstörte Stadt befinden. Durch die bewusste Entscheidung, diese Bilder als Negativdruck zu zeigen, löst der damit einhergehende Verfremdungseffekt ein Gefühl der Beklemmung aus, das man in Japan womöglich mit dem Wort iwakan 違和感 beschreiben würde: eine Disharmonie, ein Unbehagen gegenüber dem Gesehenen und gleichzeitig eine tiefe Faszination. Die Invertierung ermöglicht in gewisser Weise die Wahrnehmung des Fotos in seiner ursprünglichsten Form. Es impliziert die Anwesenheit des journalistischen Zeitdokuments, dem unentwickelten Filmmaterial, jedoch nun in verwandelter Form: als ästhetisiertes Objekt, das durch einen kuratierten Eingriff auf die Ebene eines Kunstwerkes erhöht wird.


Es mag nicht verwunderlich sein, dass die Galerie Blau die Essayistin Susan Sontag (1933-2004) heranzieht, um den transformatorischen Akt des Fotografierens zu betonen: „Photographs tend to transform whatever they depict“.[3] In ihrem wohl einflussreichsten Text zu diesem Thema, ihrer Essaysammlung On Photography (1977), schreibt Sontag der Fotografie eine eigentümliche Qualität zu:


„In teaching us a new visual code, photographs alter and enlarge our notions of what is worth looking at and what we have a right to observe. They are a grammar and, even more importantly, an ethics of seeing.”


In kritisch-mahnenden Worten charakterisierte Sontag das Fotografieren darüber hinaus als einen Akt der Gewalt: „To photograph people is to violate them“. [4] Nach dieser Logik sind Fotografien niemals als unschuldig zu betrachten. Die Frage, die Fotografien dieser Art also immer wieder neu aufwerfen – insbesondere dann, wenn sie aus ihrem zeithistorischen Kontext entfernt werden – ist die Frage nach der Zeigbarkeit. Was darf gezeigt werden und was nicht? Soll etwas gesehen werden, oder nicht? Daniel Blau ist sich dieser Problematik durchaus bewusst und weist auf die Debatte im Einleitungstext hin.[5] Als Galerist hat er seine Entscheidung offensichtlich getroffen und begründet diese mit Beispielen aus der jüngeren Zeitgeschichte („The Falling Man“, Abu Ghraib Folterskandal, Völkermord in Ruanda etc.).


Es ist aber ausgerechnet Susan Sontag, die bereits an früherer Stelle die Problematik anhand von Bildern aus Dachau und Bergen-Belsen sehr deutlich aufzeigt:


„What good was served by seeing them? They were only photographs – of an event I had scarcely heard of and could do nothing to affect, of suffering I could hardly imagine and could do nothing to relieve. When I looked at these photographs, something broke. Some limit had been reached, and not only that of horror; I felt irrevocably grieved, wounded, but a part of my feelings started to tighten; something went dead; something is still crying. To suffer is one thing; another thing is living with the photographed images of suffering, which does not necessarily strengthen conscience and the ability to be compassionate. It can also corrupt them. Once one has seen such images, one has stared down the road of seeing more – and more. (…).”[6]


So scheint es, dass es eben genau diese Transformation ist, die sich hier vollzieht: Der Wandel vom Zeitdokument, welches Zeitgenossen in aller Welt in ihren Grundfesten erschütterte – versinnbildlicht durch ein sprachloses „A terrible sight by atomic bomb at Nagasaki“, so zu lesen auf einem der Exponate – hin zum ästhetischen Kunstwerk als „Silbergelatinen-Druck auf glänzendem Faserpapier“. Da es sich in diesem Fall um Originalabzüge von 1945 handelt, ist die Verfügbarkeit der Exponate natürlich begrenzt, sie sind auf der beigelegten Einlage mit einem vierstelligen Angebotspreis versehen. Davor hatte Sontag noch so eindringlich gewarnt:


„The ethical content of photographs is fragile. With the possible exception of photographs of those horrors, like the Nazi camps, that have gained the status of ethical reference points, most photographs do not keep their emotional charge. A photograph of 1900 that was affecting then because of its subject would, today, be more likely to move us because it is a photograph taken in 1900. The particular qualities and intentions of photographs tend to be swallowed up in the generalized pathos of time past. Aesthetic distance seems built into the very experience of looking at photographs, if not right away, then certainly with the passage of time. Time eventually positions most photographs, even the most amateurish, at the level of art.”[7]


Diesen Konflikt vermag die Rahmensetzung des Ausstellungskommentars nicht vollständig aufzulösen, wobei hier die Frage zu stellen wäre, inwieweit das Format das liefern kann oder sogar muss. Und so bleibt, während das Gezeigte ein faszinierendes Sujet ist, die Frage, wie die Galerie damit umgeht.


Daniel Blau: X-Ray. Japan - 1945. Katalog, Munich 2020, 58 S.


Literaturangaben / Quellen:


[1] Sigg, Christa (2014): “Trüffelsuche im Bewährten“. In: Abendzeitung, März 8, 2014 Verfügbar unter https://www.abendzeitung-muenchen.de/kultur/kunst/trueffelsuche-im-bewaehrten-art-229054 (Letzter Zugriff 25.01.2021). [2] Galerie Daniel Blau (2012): „Photographer’s Own.“ (Ausstellungstext) Verfügbar unter https://danielblau.com/photographers-own (Letzter Zugriff 25.01.2021). [3] Sontag, Susan (2004): Regarding the Pain of Others. London: Picador Verlag, S. 76. Zitiert nach Rohmeder, Katharina (2020): „X-Ray“. In: Daniel Blau (Hg.): X-Ray. Japan – 1945. München: Galerie Daniel Blau, S. 1. [4] Sontag, Susan (1977): „In Plato’s Cave“. In: On Photography, S. 10. [5] Rohmeder 2020: 1. [6] Sontag 1977: 15. [7] Sontag 1977: 16.


bottom of page