Rezension zu Saou Ichikawas „Hunchback“
- chappelow
- May 27
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"Für Hanchibakku (dt. Hunchback, 2025) erhielt Saou Ichikawa (*1979) den 165. Akutagawa-Preis – als erste Autorin mit Behinderung, wie die inländische und ausländische Presse festhält. Die Wahl der Jury entspricht in diesem Fall zunächst dem seit der im Jahr 2003 erfolgten Auszeichnung von Hitomi Kaneharas (*1983) Hebi ni piasu (dt. Tokyo Love) anhaltenden Trend, spektakuläre Werke möglichst aus der Feder einer ungewöhnlichen Person zu prämieren. Zum einen erhofft man sich dadurch wohl, neue Leserkreise zu erreichen, zum anderen liegt es im Interesse der Verlage, mit Bestsellern erfolgreich zu sein – Hunchback verkaufte sich kurz nach dem Erscheinen in über 200.000 Exemplaren.
Der Text behandelt das Thema Behinderung aus der Perspektive einer Betroffenen (jap. tōjisha). Mit ihr ist die Agenda verbunden, die oft stereotype Literarisierung der Lebensumstände der tōjisha durch Verfasser, die die spezifische Erfahrung nicht teilen, in Frage zu stellen, um die gängigen Muster abzulösen und eine authentischere Sichtweise zu etablieren. Zu diesem Zweck liefert die Autorin direkte Einblicke in die Alltagsrealität der Ich-Erzählerin Shaka, die auf Atemgerät und Rollstuhl angewiesen ist [...]
Ein gewisses Schock- und Skandalpotenzial kann man Ichikawa sicher nicht absprechen. Der autobiographisch unterlegte Text greift auf Pornoszenen zurück und präsentiert sonderbare Tötungsphantasien bezüglich eines allein zum Zwecke der Abtreibung gezeugten Fötus. Kaneharas Hebi ni piasu hatte mit seiner Schilderung eines in der urbanen Subkultur beheimateten jungen urban tribe, der seine aus der Enge der japanischen Gesellschaft resultierenden Frustrationen durch Bodymodifikation, sadomasochistische Spiele und mordlüsterne Grenzüberschreitungen hinter sich lassen will, den Zeitgeist der frühen 2000er getroffen. Hunchback (2023) artikuliert in Gestalt der Protagonistin Shaka Izawa einen Freiheitsdrang anderer Art. Es ist der nicht ohne Ironie vorgetragene Wunsch, „Mensch zu werden“, indem sie versucht, ihrem durch eine angeborene neuromuskuläre Störung stark eingeschränkten Körper Grunderfahrungen der Fleischlichkeit (Sexualität, Empfängnis, Abtreibung) abzutrotzen. Ichikawas Schreibstil weist dabei eine klischeehafte Bewertung der prekären Situation Shakas als mitleiderregend zurück, auch fordert er keine vordergründige Bewunderung für die stoisch viele Widrigkeiten überwindende Heldin ein."
Lisette Gebhardt für literaturkritik.de, 26. Mai 2025

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