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Wakui und Wong

Updated: Jan 31, 2020

Zwei Künstler zwischen Micropop und Neon-Noir

von Mike Hommel


2007 prägte Matsui Midori den Kunstbegriff Micropop (maikuropoppu マイクロポップ) und beschrieb damit japanische Künstler, die in den späten 1960ern und 1970ern geboren wurden. Diese eigneten sich einen Stil an, der über den Begriff des Japanese Neo-Pop hinausgeht und eine Transformation der alltäglichen Wahrnehmung darstellt. Ein japanischer Fotograf, der sich der Zuordnung zu Micropop gewiss sein kann, prägt mit seiner Arbeit noch einen weiteren Stil: Neon-Noir.[1] Es handelt sich um Wakui Masashi. Geboren 1978 lebt er heute in Tôkyô und hat seine künstlerischen Wurzeln im Film. 2012 versuchte er sich erstmals in der Fotografie und war sehr experimentier-freudig, was Stil und Komposition angeht, wie auch sein Flicker-Portfolio (https://www.flickr.com/people/megane_wakui/) veranschaulicht. Zwischen Ende 2014 und Anfang 2015 fing Wakui an, durch das nächtliche Tôkyô zu wandern. Ab diesem Zeitpunkt kamen die Aufnahmen in seinem Portfolio zunehmend aus seinen nächtlichen Unternehmungen und zeigten ein sehr intensives Tôkyô bei Nacht. Dies lag an Wakuis Umgang mit verschiedenen Techniken der Digitalfotografie, welche es ihm erlaubten, die Lichtverhältnisse und die Stimmung eines jeden Bildes im Nachhinein zu verändern. Somit schuf er eine noch intensivere Darstellung der nächtlichen Szenerie der Stadt. Gleichzeitig zeigt er aber auch sein Talent für Kompositionen. Durch seinen neuen Stil lenkt er den Blick des Betrachters immer auf das Wesentliche im Bild, zum Beispiel den hell erleuchteten Eingang eines izakaya oder einer Bar, und lässt alles herum wie einen Rahmen wirken, der dieses Erlebnis noch verstärkt.


Nach einiger Zeit ließ sich eine Veränderung in Wakuis Bildern feststellen. Sie hatten nicht nur eine noch stärkere Ausdruckskraft, sie wirkten auch dezent abstrakt, indem der Künstler eine Neon-Farbnuance hinzufügte bzw. sie verstärkte, wenn sie im Bild bereits vorhanden war. Er schaffte es, damit einen Stil zu etablieren, der von vielen aufgegriffen und weiterentwickelt wurde. Dabei benutzten einige dieselben Techniken, andere wiederum machten aus den Bildern sehr abstrakte Kunstwerke, die mit der Originalaufnahme nicht mehr zu vergleichen waren. Wakui hingegen arbeitete immer sehr filigran und der Ursprung seines Bildes war immer klar zu erkennen. Damit blieb der Fotograf zwar dem Micropop treu aber öffnete die Tür zum Neon-Noir, der durch Filme wie Blade Runner (Warner Bros., 1982) und Taxi Driver (Columbia Pictures, 1976) geprägt wurde. Somit holte er nicht nur einen Stil aus dem Kino in die Fotografie, sondern auch gleichzeitig in die Sozialen Medien, wo er sich schnell großer Beliebtheit erfreute.


Nun betritt Liam Wong, geboren 1987, die Bildfläche. Seine Wurzeln liegen in der Spieleindustrie, er hat als Art Director bei Ubisoft gearbeitet. 2015 widmete er sich erstmals der digitalen Fotografie und kaufte sich seine erste Kamera. Auch er entwickelte schnell eine Affinität zum nächtlichen Tôkyô. Er führte den Stil von Wakui Masashi fort und schafft es, seine Kompositionen noch filigraner zu gestalten, als es dieser schon vor ihm tat. Mit seinen Arbeiten festigte er nicht nur das Fundament, welches Wakui für Neon-Noir geschaffen hatte, sondern half auch dabei, dieses Genre – und unbewusst auch den Micropop – weiter in den Sozialen Netzwerken zu verbreiten. Was beide aber gemein haben, ist eine Ästhetik des Ursprungsbildes bzw. der Szene an sich, die trotz aller Stilmittel nicht verloren geht und immer klar zu erkennen ist. Wong geht allerdings noch einen Schritt weiter, nachdem er fundierte Kenntnisse dieser Art der Fotografie erlangt hatte. Er fängt an, den Cyberpunk selbst, in Form von Werken wie Blade Runner, Ghost in the Shell (1995) oder auch Akira (1988), in seinen Bildern zu zitieren. Aufgrund seiner filigranen Kompositionen und des Vermischens von echten Schauplätzen mit diesem Genre, erschafft er damit sozusagen die Zukunft bereits jetzt in der Gegenwart.


Die Geschichte von Liam Wong findet aber hier noch lange kein Ende. 2017 schaffte er es in die Forbes-Liste der 30 unter 30-Jährigen im Bereich Games und gilt als einer der jüngsten Art-Direktoren in der Spielebranche. Diese Vita, gepaart mit dem beschriebenen Talent in der Fotografie, half ihm, sein Crowdfunding Buchprojekt “TO:KY:OO” zu starten, das mittlerweile als eine der erfolgreichsten Buch-Kampagnen Großbritanniens gilt. In diesem Buch finden sich dann auch Zitate von Größen wie Syd Mead oder Kojima Hideo, die ihm sein ungewöhnliches Talent attestieren.


Wong und Wakui fanden zwar viele Nachahmer, und mittlerweile gibt es in den gängigen Apps für Fotomanipulation auch Filter, die auf den Arbeiten der beiden aufbauen, aber die Werke beider bleiben unerreicht, gerade weil sie in ihrem Arbeitsprozess keine Filter im typischen Sinne nutzen, sondern die digitalen Negative direkt bearbeiten. Wakui Masashi hat sich, seinem Twitter Account nach zu urteilen, eine Pause gegönnt und im Januar 2020 mit der Fotografie wieder angefangen. Liam Wong postet weiterhin Bilder aus seinem Buch, seinen nächtlichen Unternehmen und erweitert seine Palette um stilisierte Aufnahmen von verschiedenen Bauwerken, die nicht nur im nächtlichen Tôkyô zu finden sind. Beide Künstler sollte man im Auge behalten, denn dem Anschein nach sind sie noch nicht am Ende ihrer kreativen Reise angelangt.


Bildmaterial Wakui Masashi

Bildmaterial Liam Wong


Abbildungen mit freundlicher Genehmigung der Künstler nach Anfrage


Weiterführende Links:


Liam Wong



Crowdfunding Buchprojekt : https://vol.co/product/to-ky-oo/



Masashi Wakui





 

[1] Dieser Begriff hat einen cineastischen Hintergrund und ist eine Weiterführung des Neo-Noir, welches wiederum aus dem Genre Film Noir hervorging.

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